Manche Wochen wollen einfach nur sein

Manche Wochen wollen nicht erklärt werden. Sie wollen ausgehalten werden.

So wie diese Woche.

Sie plätscherte irgendwie so dahin – ohne Höhepunkt, ohne große Erkenntnis. Und vielleicht war genau das ihr Thema.

Am Sonntag habe ich mir kurzfristig eine Nacht in einem Guesthouse gegönnt. Unser Badezimmer ist noch immer nicht fertig, es regnete, und die Vorstellung, nachts hundert Meter zum Klo der Nachbarn zu laufen, war einfach keine gute. Also bin ich gegangen. Nicht aus Drama, sondern aus Pragmatismus.

Am Montagmorgen fuhr ich zurück und blieb mit dem Auto im Sand stecken. Darüber habe ich in meinem letzten Blogartikel schon ausführlich geschrieben. Am Abend fuhr auch Moctar zurück nach Ziguinchor zu seiner Familie, und ich war allein.
Alleinsein macht mir keine Probleme. Auch hier nicht. Und streng genommen bin ich es ja nicht. Es gibt Nachbarn, Gespräche, gemeinsame Routinen.

Die Tage folgen einem gleichmäßigen Muster: morgens Wasser holen, duschen, einkaufen: Frühstück, Fisch und Gemüse für den Tag. Einer meiner Nachbarn kocht für uns auf offenem Feuer. Dafür bin ich sehr dankbar – ich wäre damit überfordert. Ich bin mit einem Elektroherd aufgewachsen, nicht mit Holz und Geduld.

An einem Vormittag habe ich Wäsche gewaschen. Mit der Hand, wie hier üblich. Es ist erstaunlich, wie viel Zeit dabei entsteht. Zeit zum Nachdenken, Musik hören, den Vögeln lauschen. Fast meditativ.

Ich übe täglich auf meiner Kora, wir trinken Attaya, irgendwann gibt es Abendessen. Abends sitzen wir am Feuer, erzählen uns etwas, und irgendwann gehen wir schlafen.

Am Mittwochabend habe ich zum ersten Mal das Rauschen des Atlantiks gehört. Obwohl wir über einen Kilometer vom Strand entfernt sind, tragen die Wellen bis zu uns – wenn es ruhig genug ist. In den letzten Tagen war das selten der Fall. Zu viele Feste, zu viel Musik.
Aber an diesem Abend war es still. Nur Grillen, Wind, Wellen.
Ich habe viele Jahre davon geträumt, ein Häuschen am Meer zu haben.
Und plötzlich war dieser Traum einfach da. Still. Unaufgeregt. Nichts daran musste gelöst oder erklärt werden.

Am Donnerstag kamen gute Nachrichten: Meine Sachen, die ich mit dem Container aus Essen verschickt hatte, waren abholbereit. Endlich! Für Freitag wurde ein Fahrer organisiert und wir fuhren nach Gambia.

Die Fahrt dauerte jeweils zweieinhalb Stunden, unterbrochen von drei Grenzkontrollen.
Meine Sachen waren vollständig und innerhalb weniger Minuten war alles im Auto und auf dem Dach verstaut, dann ging es zurück.

Ich war erleichtert, als wir wieder in Abene ankamen. Die Luft auf den Straßen Gambias ist heiß, stickig, voller Abgase. Hier ist sie klarer, leichter. Und es ist kühler.

Moctar war ebenfalls zurück. Gemeinsam mit Jean baute er das Bett auf – ein Ikea-Bett. Die Aufbauanleitung wurde konsequent ignoriert. Ergebnis: zwei Stangen müssen nun noch einmal neu angebracht werden, weil die Bohrlöcher nach vorne zeigen statt nach hinten. Aber ansonsten: keine Schraube übrig und das Bett steht stabil.

Besonders gefreut hat Moctar die Gitarre, die ich mitgeschickt hatte. Eine für Linkshänder. Für mich habe ich auch eine mitgeschickt. Jetzt können wir zusammen spielen.

Vielleicht ist das gerade mein Zustand: nicht alles einordnen, nicht alles bewerten, nicht alles erzählen. Manche Wochen wollen nicht erklärt werden.

Sie wollen einfach nur sein.

Wenn ein Auto stillsteht, bewegen Menschen etwas

Community statt ADAC: wie mir heute geholfen wurde

Ich sitze gerade gemütlich und alleine am Feuer und lasse den Tag Revue passieren.

Heute Vormittag habe ich mich im Sand festgefahren. Warum auch habe ich diese Route gewählt? Na, der Klassiker… Google Maps. Was weiß Google Maps auch, dass dieser Weg so sandig ist, dass er für meinen Ford Fiesta nicht gemacht ist.

Die Räder drehten sich aber nichts bewegte sich. Außer dem Sand unter mir, der flog überall hin.

Ich lief zum nächsten Compound, Gottseidank war jemand da, zwei Frauen, die Wäsche wuschen. Und ich hatte Glück, eine Frau sprach sogar ein bisschen Englisch. Ich erzählte, was mir passiert war und sie rief einen Bekannten aus der Nachbarschaft an, der wiederum brachte noch jemanden mit. Doch zu zweit schafften sie es nicht.

Aber die Geräusche vom durchdrehenden Motor lockten weitere Männer an. Letztendlich waren es sechs. Einer setzte sich ans Steuer und die anderen hoben das Auto an und schoben rückwärts. Und Meter für Meter bewegte sich das Auto. Der Fahrer wendete noch aber dann plötzlich war das Auto komplett tot. 1. Gang, 2. Gang, Rückwärtsgang – alles tot. Das Auto bewegte sich nicht mehr. Kupplungsscheibe defekt!

Ich rief Moctar an und der rief einen befreundeten Automechaniker hier in Abene an. Die Männer erklärten ihm, wo wir waren, denn ich wusste es nicht.

In der Zwischenzeit wartete ich in einem anderen Compound, bei Franziska, die aus der Schweiz kommt und seit vier Jahren in Abene ist und wie ich hier überwintert. Sie erzählte mir lachend, dass das immer wieder vorkommt, dass hier jemand stecken bleibt. Ich bin also kein Einzelfall.

Kurz darauf kam der Mechaniker mit seinem Bruder in einem 4×4 BMW-Geländewagen. In einem Lastwagen wenige Meter weiter fanden sie etwas, was sie als Abschleppseil verwenden konnten.

Der Bruder des Mechanikers setzte sich ans Steuer meines Autos, mich setzten sie auf den Beifahrersitz vom BMW.

Aber das Abschleppen funktionierte nicht. Der Sand war zu tief und es ging ein bisschen bergauf. Die Jungs von vorhin tauchten wieder auf und drückten und drückten und besorgten Holzbretter, die sie unter die Vorderräder meines Autos legten.

Ja, wir fuhren! Und fuhren bis zur Werkstatt. Dort lösten sie mein Auto vom BMW und der Bruder des Mechanikers brachte mich nach Hause. Ich sagte ihm, dass ich noch was zu Essen für die Jungs bei mir auf der Baustelle kaufen müsste, die Ärmsten hatten nämlich noch nichts gegessen und es war schon weit nach Mittag.

Er fuhr mit mir zu einem kleinen Restaurant, wo seine „Schwester“ arbeitet und sie füllte eine große Schale mit Thiéboudienne.

Er wohnt nicht weit von mir entfernt. Als wir an seinem Haus vorbei kamen, hielt er an und stieg aus, drückte mir den Schlüssel in die Hand und meinte: „Du kannst mein Auto haben, bis deines wieder fertig ist.“ Und dann verschwand er durch die Tür.

Ich war sprachlos und gerührt! Der kennt mich nicht einmal! Aber er kennt Moctar, er war viele Jahre sein Trommelschüler. Ja, hier gilt noch: die Freunde meiner Freunde sind auch meine Freunde.

Was ich heute gelernt habe: Hier lebt Community-Service. Alle haben sich zusammengerauft: der Mechaniker, sein Bruder und Männer aus dem Dorf. Jeder wusste, was zu tun war. Der eine schob, der andere hielt das Auto, jemand lief los, um Verstärkung zu holen. Hände griffen, Füße stemmten, Stimmen gaben Kommandos. Alles lief Hand in Hand. Ohne Drama, ohne große Worte. Ich musste nichts erklären. Niemand schimpfte. Niemand machte mir Vorwürfe. Sie haben einfach gemacht. Und mich behandelt, wie eine Prinzessin.

Ich war und bin völlig geflasht von dieser Hilfsbereitschaft. Und ich bin unendlich dankbar dafür.

Ich merke, wie sehr mich das alles verändert: wie leicht es sein kann, Hilfe anzunehmen. Wie gut es tut, einfach zu vertrauen. Und wie sehr solche Momente zeigen, dass Menschlichkeit nicht kompliziert sein muss – sie ist einfach da, wenn man sie zulässt.

Zwischen Zement und Leben: Meine erste Woche auf der Baustelle in Abene 

Seit Montag schlafen wir auf unserer Baustelle – in einem Raum, der eigentlich noch keiner ist. Die Wände sind roher Beton, der sich nachts kalt und auch noch feucht anfühlt, und ständig liegt feiner Staub auf allem. Wir schlafen auf einer Schaumstoffmatratze, die wir übergangsweise gekauft haben. Meine Containersachen sind ja noch nicht da. Da ist nämlich auch eine Matratze samt Lattenrost und Bett bei.

Unter meinen Füßen klebt der PVC-Boden, den wir auch übergangsweise gelegt haben. Irgendwann kommt hier der typische Fliesenbruch hin. Alles wirkt improvisiert, unsere Sachen liegen in Taschen und Koffern auf dem Boden verteilt, so als hätten wir nur einen Zwischenstopp eingelegt. Nur dass dies kein Zwischenstopp ist. Dies ist der Anfang. Und der Anfang fühlt sich manchmal an wie Camping, nur ohne Naturidylle, dafür mit Betonsteinchen im Bett.

Toilette und Wasser bekommen wir von den Nachbarn. Ein Outdoor-Stehklo, bei dem mein Körper jedes Mal protestiert, als hätte er im Leben noch nie davon gehört, wie man außerhalb einer europäischen Toilette funktioniert. Bei den Nachbarn laden wir auch unsere Powerbanks auf. Im Moment haben wir nämlich kaum Sonne, der Himmel ist wolkenbedeckt, die faltbaren Solarpanels nutzen uns also gerade gar nichts.

Ich versorge hier fünf Erwachsene: Moctar, drei Männer von der Baustelle und mich. Drei Mahlzeiten am Tag, zwei davon kochen wir über Feuer und mit einfachem Equipment, mit lokalen Zutaten. Und der einzige nicht wirklich notwendige Luxus, den wir uns gönnen, ist Attaya – dieser starke, grüne Tee mit ordentlich Zucker drin.

Der erste richtige Tiefpunkt kam am Sonntag für mich. Wir hatten uns ja übergangsweise bei einer Bekannten einquartiert. Moctar aber wollte gerne umziehen. Aber ich habe gesagt: nein, das Geld, was ich für einen ganzen Monat habe, ist schon zu mehr als der Hälfte aufgebraucht. Ich kann keine Matratze kaufen.

Doch dann passierte etwas, das man „Wunder“ nennen muss. Mein Handydisplay leuchtete auf, auf meinem senegalesischen Konto tauchte unerwartet eine zweite Überweisung auf. Dieselbe Summe wie vor dem Abflug. Es fühlte sich an wie ein stiller, fast unverschämter Geldregen, der exakt im Moment fiel, an dem ich dachte: Mist, alles doof hier.

Das alles hier wäre ohne meinen Mann Michael nicht möglich. Er steht hinter mir, finanziell und menschlich, auch wenn unser Leben alles andere als klassisch ist. Wir sind nach wie vor verheiratet, leben aber in einer anderen Beziehung. Und trotzdem – oder vielleicht genau deshalb – hält er mir den Rücken frei. Dieses Haus wächst nicht nur aus Sand und Zement, sondern auch aus Vertrauen, Loyalität und einer Art Liebe, die viele nicht verstehen, manchmal verstehe ich es selbst nicht.

Am späten Nachmittag üben Moctar und seine Bandmitglieder. Dann dröhnen hier die Trommeln.

Abends sitzen wir gemeinsam am Feuer vor dem Haus. Die Grillen zirpen, der Rauch zieht in die Kleider und aus dem Dorf schwappt Trommelmusik herüber. Eine seltsame Mischung, die mir aber wieder klar macht, dass ich wirklich in Afrika bin. Manchmal spiele ich auch auf der Kora oder auf der Ukulele, manchmal reden wir nur oder schauen schweigend in die Flammen und trinken Attaya. Manchmal aber sind wir auch außerhalb, weil Moctar mit seiner Band auftritt.

Was für ein absurdes, wildes Leben. Und ich stehe mittendrin.

Dies ist kein klassischer Afrikaurlaub mit Safari oder Beachlife incl. Cocktailschirmchen.

Dies ist ein Bauprojekt unter Extrembedingungen – mit Chaos, vielen Kosten, Verantwortung. Aber auch mit einer Schönheit, die nur sichtbar wird, wenn man auf die Details schaut.

Und falls du dich fragst, ob ich manchmal zweifle:
Natürlich. Es wäre gelogen, wenn ich es nicht tun würde.

Staub, Sonne, Türen

Ankommen in Abéné

Vor drei Tagen stand ich endlich hier, mitten in Abéné, mitten im Sand, auf der Baustelle, vor diesem Haus, das viel größer ist, als ich es mir vorgestellt habe. Aber noch ohne Fenster, ohne Türen – nur Mauern mit einem Dach, die in der Vormittagssonne stehen und mit mir sprechen: „Na? Traust du dich?“

Na klar traue ich mich. Da, schaut selbst!

Gestern war Stillstand. Wir müssen auf Sand warten aber es ist Freitag – der Tag, an dem hier alles langsamer ist bzw. steht. Die Moschee ruft, die Menschen halten inne.

Wir frühstücken erst einmal. Auf glühenden Kohlen köchelt die Kanne mit Wasser für den Kaffee und die umgedrehte Bananenkiste ist unser Tisch. Ich werde hier zur Impro-Queen.

Heute dagegen veränderte sich alles. Als wir ankamen, war der Sand schon geliefert. Die Fenster und Türen wurden eingebaut. Es sieht toll aus! Ich berühre die Türrahmen, und kann spüren, wie ich bald schon hier hindurchgehe.

Dieses Haus ist nicht mehr nur ein Rohbau. Es ist ein Versprechen. Hier soll das Glück wohnen!

Morgen, am Sonntag, wollen wir einziehen, auch wenn noch nichts da ist. Denn der Container, wo mein Bett und vieles andere mehr drin ist, ist noch nicht angekommen. Naja, ich habe ausreichend Campingerfahrung und wie ich schon schrieb: Impro-Queen. Ich freue mich jedenfalls drauf! Auf dieses neue Kapitel in meinem Leben.

Wir suchen übrigens nach einem schönen Namen für das Haus. Habt ihr Ideen?

Abflug: gleich – Ankunft: heute abend!

Endlich sitze ich am Gate. Ein halbes Jahr habe ich auf diesen Moment gewartet — und jetzt darf ich für fast genauso lange wieder nach Senegal zurückkehren.
Draussen ist es noch dunkel und es ist kalt. Der Weg zum Flughafen war gut, keine nennenswerten Staus auf der A3. Das Einchecken ohne Probleme. Mein großer Koffer wog 24,7 kg, ich weiss jetzt, dass meine Personenwaage zuhause das Gleiche anzeigt, wie die Waage am Schalter. Das Handgepäck wurde gottseidank nicht gewogen (und auch nicht gezählt).
Der Security-Check hat etwas gedauert. Alle Gepäckstücke aufs Band, alles Überflüssiges ausziehen und dann das Gleiche wieder retour.

Während ich hier bei Cappuccino (für 6,50 € !!) sitze und aufs Boarding warte, breitet sich in mir diese Vorfreude aus. Einerseits eine sehr ruhige Vorfreude, weil ich ja weiss, wohin ich fliege und andererseits eine aufgeregte Vorfreude, weil mich an bekanntem Ort auch einiges Neues erwarten wird.

Bald gibt’s endlich wieder Sonne, Meer, Trommeln, Singen, Kora spielen – all das, was mich erfüllt und lebendig macht.
Ich freue mich auf mein kleines Haus, das ich erstmals mit eigenen Augen sehen werde.
Und natürlich freue ich mich auf Moctar, wir haben uns nun seit 1/2 Jahr nicht mehr gesehen. Eine verdammt lange Zeit und ich bin ein bisschen ängstlich, wie der erste Augenblick des Wiedersehens am Flughafen sein wird. Wir kennen uns schließlich erst seit 11 Monaten, haben gerade mal 5 Monate miteinander verbracht…

Mittlerweile weiss ich leider, dass der Container mit meinen Sachen nicht vor dem 28. oder 29.11. ankommen wird. Bis dann alles abholbereit ist, werden noch mal ein paar Tage vergehen.
Ich werde bei meiner Ankunft also nur das da haben, was ich im Koffer mitbringe.
Das fängt gut an, so habe ich mir das nicht vorgestellt.
Okay, ich schiebe diese Gedanken mal beiseite, heute ist Vorfreude.



Packen für ein halbes Jahr: Was nicht verschifft wurde, kommt jetzt mit

Vom Bikini bis zur Backup-Festplatte – ein Koffer voller ganz normaler Notwendigkeiten.

Bevor ich für ein halbes Jahr nach Senegal fliege, packe ich weniger Kleidung als mein Leben.
Ein Teil ist schon im Container unterwegs – Bett, Matratze, Stühle, Tische, Küchenzeug – und zwei Gitarren.
Und was jetzt noch in den Koffer kommt, ist die Mischung aus Alltag, Restposten und „Ach stimmt, das brauche ich ja dort auch“.
Sieht nicht nach Abenteuer aus. Sondern nach Alltag.

Im August habe ich schon jede Menge Sachen per Container verschifft. Ich kenne jemanden, der regelmäßig Container nach Gambia schickt – da konnte ich meine paar Dinge einfach zuladen.
Ich wohne ja nicht im Hotel, sondern in meinem eigenen Haus.
Und so ein Haus will ausgestattet werden.

Bett, Lattenrost, Matratze, Bettdecke, Bettlaken, Stühle, kleine Tische, Geschirr, Töpfe, Besteck – und jede Menge Solarlampen. Ja, Solarlampen. Weil Strom in Abéné eher ein Vorschlag als Realität ist.
Klingt nach viel? Ist es auch.
Dazu habe ich ein paar Alltagsdinge mitgeschickt: Sonnenmilch, Mückenschutz, Zahnpasta, Gesichtswasser, Creme. Spart Platz im Koffer – und Nerven, wenn man alles erst vor Ort suchen müsste.

Aber wer jetzt denkt, ich könnte mit leichtem Gepäck reisen, irrt gewaltig. Tatsächlich bleibt noch jede Menge übrig, was ich bis zuletzt hier gebraucht habe oder woran ich erst jetzt gedacht habe. Geschenke für meine Familie in Senegal gehören natürlich dazu.
Unter anderem habe ich etwa 25 Lesebrillen in verschiedenen Sehstärken dabei, die ich verteilen werde.
Und ganz wichtig: Medikamente!
Schmerzmittel, Mittel gegen Durchfall und Verstopfung, Nasenspray, Augentropfen, Fiebersirup für Kinder, Antihistaminika, Verbandmaterial, ein Notfall-Antibiotikum, Magnesium und Jodtabletten für die Schilddrüse – alles im Gepäck.

Und Kaffee! Richtig guter Bohnenkaffee, in Abéné gibt es höchstens Espresso von Lavazza und den mag ich gar nicht so gerne.
Für meine Familie habe ich ganz viel löslichen Cappuccino eingepackt, die mögen den total gerne!
Außerdem habe ich eine Campingdusche und ein faltbares Solarpanel gekauft. Warum? Kein Strom, kein Wasser im Haus.
Die Dusche ist ein schwarzer Beutel, der sich in der Sonne aufheizt, das Solarpanel lädt Powerbanks – Handy, Laptop, Kameraakkus, alles wird versorgt.
Survival? Ein bisschen. Praktisch? Sehr.

Im Handgepäck: ein paar Sommerkleider – nicht viele, denn vieles habe ich schon in Senegal, und vor Ort kann man sich schöne Kleider nähen lassen.
Dazu kommen Powerbanks, externe Festplatten, USB-Batterien, Ansteckmikrofone, iPad, Laptop und alle Kabel, die man sich vorstellen kann.
Und der Fotorucksack: Kamera, ein paar Objektive, Kosmetik und Zahnpasta für die ersten Tage.

Insgesamt fliege ich mit 43 kg Gepäck, aufgeteilt auf drei Gepäckstücke. Sieht nicht nach Urlaub aus? Stimmt. Macht aber mein halbes Jahr Senegal nahezu perfekt.

Ein Haus wird gebaut

Mein Zuhause wächst – auch wenn ich weit weg bin

Im April habe ich das Grundstück kennengelernt, auf dem mein Haus oder unser Haus entstehen sollte. Es befindet sich ein bisschen abseits der Hauptstraße in Abéné, in einem grünen und baumreichen Gebiet.
Der Weg dorthin ist gesäumt von Cashewbäumen, ich habe im April noch Cashewfrüchte vom Boden aufgesammelt und gegessen.


Unzählige Vögel leben dort, es hat aus allen Richtungen gezwitschert. Ich erinnere mich an das Rauschen der Blätter und an den Geruch der Erde.
Damals war da nur wild bewachsenes Land mit hohem, vertrocknetem Gras.

Da also sollte das Haus entstehen.

Jetzt wächst dort etwas. Stein für Stein, gebaut von zahlreichen Händen.
Mein Mann Moctar erzählt mir regelmäßig, wie es vorangeht. Ich höre seine Stimme, höre vor allem die Müdigkeit nach dem langen Tag. Aber ich höre auch den Stolz darin und die Freude.
Und neulich hat er Fotos geschickt. Auf den Bildern sehe ich Mauern, die langsam Formen annehmen. Noch unfertig, aber schon jetzt kann man sehen, was es werden wird. Und es wird schön!

Das hier ist der Stand nach 6 Tagen Bauzeit

Ich betrachte jedes Detail, als wäre ich selbst dort. Den Schatten einer Mauer, die Fenster, durch die bald Licht fallen wird. Ich sehe den Ort, an dem ich einmal stehen werde – vielleicht barfuß, vielleicht mit einem Kaffee in der Hand. Ich sehe die Sitzecke auf der Veranda, wo ich mit meiner Kora sitzen werde oder auch mit Bekannten essen werde.
Zwischen den Fotos und seinen Erzählungen entsteht in mir ein Haus, das nicht nur aus Steinen gebaut ist, sondern aus Bildern, Worten und Sehnsucht.

Manchmal frage ich mich, wie es sein wird, wenn ich das erste Mal durch die Tür trete. Wenn die Vögel mich morgens beim Aufgehen der Sonne mit ihrem Zwitschern wecken werden.
Ob ich dort nachts, wenn alles ruhig ist, das Wellenrauschen von Atlantik hören kann?

Ich stelle mir vor, wie wir dort sitzen werden, unter den Bäumen, und das Gefühl haben: Wir sind angekommen.

Und hier nach 9 Tagen Bauzeit

Mein Mann sagt jedesmal: „Das wird dein Haus, Jana. Es wird dein Zuhause.
Ein Ort, an dem du glücklich sein sollst.“

Und jedes Mal, wenn ich das höre, spüre ich ganz viel Wärme in mir und ganz viel Liebe.
Noch nie hat jemand ein Haus für mich gebaut.
Dieses Haus ist mehr als ein Bauprojekt. Es ist ein Versprechen.
Eine Art Wurzel, die schon wächst, auch wenn ich gerade noch in Deutschland bin.

Manchmal wächst etwas, obwohl man weit weg ist. Und vielleicht wächst gerade dann am meisten – weil man spürt, dass die Verbindung stark genug ist, um auch über die Entfernung zu tragen.

Abéné – wenn Kunst ein Zuhause hat, dann hier

Ich weiss noch, als ich in Abéné ankam, fühlte ich mich wie in einem Soundcheck. Der Kleinbus, der unsere Gruppe brachte, stoppte vor dem Compound, das für die nächsten drei Wochen mein Zuhause sein sollte, die Tür ging auf — und bevor ich überhaupt einen Fuß auf den Boden gesetzt hatte, war ich schon drin in dieser Welt aus Trommeln und Tanzen.
Vor uns standen etliche Trommler und Tänzer*innen, die einen herrlichen Lärm für uns machten. Selten habe ich mich so willkommen gefühlt wie in dem Moment.
Und da war mir klar: Ich bin hier als Musikerin angekommen und nicht als Touristin.

Ankunft in Abéné

Sehr schnell habe ich mich in den kleinen Küstenort verliebt. Es ist unfassbar grün dort, Palmen, Cashewwälder, Mangobäume und Mangroven bilden ein sattgrünes und schattenspendendes Dach über den vielen Nebenstraßen.
Teilweise kam es mir vor, als würde hinter dem nächsten Baum der Urwald beginnen, der mich verschluckt.
Es ist relativ ruhig dort. Kein Massentourismus, keine unangenehme Belästigung auf den Straßen oder am Strand. Stattdessen freundliche und aufgeschlossene Menschen.

Und nicht zu vergessen der naturnahe breite und kilometerlange Sandstrand am Atlantik. Je nach Wind sind die Wellen mal flach und ruhig oder auch mal stürmisch und hoch. Am Abend hört man sie weit bis ins Dorf hinein.


Aber der Hauptgrund, warum Abéné mein Ort wurde:
Es ist ein Brutkasten für Kunst und speziell für Musik. Es gibt dort eine so hohe Dichte von Musiker*innen und Tänzer*innen aller Art, wie ich es noch nirgends erlebt habe. Dazu kommen dann noch Batikkünstler*innen, Maler*innen und so vieles mehr. Und all das macht die Luft dort aus.

Genau deshalb kommen Menschen aus unterschiedlichen Ländern hierher, weil sie Teil dieser speziellen Kunst- und Musikkultur sein wollen. Denn man ist hier nicht nur Zuschauer*in, sondern man ist Teil davon.
Und speziell in den Wintermonaten sind überall Workshops, von überall her tönt Musik, hauptsächlich Trommeln natürlich. Bis tief in die Nacht hinein. Ich habe es geliebt und habe verdammt gut mit der rhythmischen Musik im Hintergrund geschlafen.

Was mir auch angenehm auffiel: Abéné ist nach wie vor ein Ort für die Einheimischen. Ich habe dort keine Resorts oder Privatstrände gefunden, die für die einheimische Bevölkerung nicht zugänglich waren, so wie ich das z.B. auf Sansibar oder Kenia gesehen habe.

Ich freue mich riesig auf mein Winter-Zuhause! Von nun an jedes Jahr von Dezember bis April/Mai.
Und wer weiss, vielleicht treffen wir uns dort?


Allgemeine Informationen:
Abéné liegt an der Atlantikküste im Süden Senegals und gehört zur historischen Region der Casamance. Es ist ein Küstendorf mit Strandlage, Mangroven, Wald-/Sumpfgebiet in der Umgebung.
Hier leben etwa 2000-3000 Einwohner*innen, es gibt keine aktuellen Zahlen. 2002 waren es 1935 Einwohner*innen.
Hauptsächlich sind es Angehörige der Ethnien der Diola (Jola) und Mandinka.
Neben den lokalen Sprachen wie Diola oder Mandinka wird Französisch gesprochen, durch die Nähe zu Gambia können viele aber auch Englisch.

Noch 3 Wochen bis Senegal

In genau 21 Tagen geht es wieder los.
Nicht in den Urlaub. Nicht auf eine Bühne. Nicht auf eine touristische Reise.

Ich fliege zurück in die Casamance, diesmal an die Küste, nach Abene — ein Ort, den ich letztes Jahr lieben gelernt habe und an dem ich einige Wochen verbracht habe.
Dieses Mal wartet ein kleines Häuschen auf mich, es wird gerade gebaut. Und ich hoffe, dass es rechtzeitig fertig wird. Mein eigenes Zuhause, mitten in meinem anderen Leben.

Auf diesem Grundstück wird das Haus gebaut

Ich freue mich darauf, wenn ich das erste Mal die Tür aufschließen und die Zimmer betreten werde. Ich freue mich auf das Licht, auf die Sonnenstrahlen, die durch die Türen fallen, die vielen Bäume und die hunderte zwitschernde Vögel.

Ich nehme euch mit zu meinem künftigen Haus


Ich freue mich auf die kleinen Räume, die ich gestalten werde, und auf den Alltag, der mich erwartet. Im Juli/August habe ich bereits etliche Dinge per Container nach Afrika geschickt: ein neues Bett, Lattenrost und Matraze, Stühle, Tische, Garderoben, Küchenzubehör, Sonnenmilch und Mückenschutzmittel und andere Drogerieartikel für 6 Monate und zwei Gitarren. Eine für mich und eine für meinen Mann.

Seit über fünf Monaten habe ich meinen Mann nun nicht mehr gesehen. Fünf Monate!Das klingt nach einer langen Zeit, und das ist es auch.
Aber jeder Tag ohne ihn hat mir bewusst gemacht, dass wir dennoch miteinander verbunden sind, auch wenn uns mehr als 6000 km voneinander trennen.

Ich freue mich auf alles, was mich in Abene erwarten wird

Musik: Kora üben, neue westafrikanische Lieder lernen, trommeln, verschiedene Rhythmen spüren.

Strand und Natur: Tägliche Spaziergänge am Meer, der Wind, das Licht, die Geräusche der Casamance.

Marktleben: Obst, Gemüse, frischer Fisch, die Düfte der Gewürze, bunt gebatikte Kleider, Menschen, die lachen und handeln.

Freunde und Bekannte: Wiedersehen, Gespräche, gemeinsames Kochen, Musikabende.

Meine Koffer sind bereits halb gepackt: Technik für Fotos und Videos, Laptop, Mikrofone, Powerbanks, Solarpanels, Geschenke für die Menschen, die mir am Herzen liegen, etwa 30 Lesebrillen in verschiedenen Stärken zum Verschenken und ein bisschen Kleidung. Vieles ist schon von letztem Mal vor Ort.

Es fühlt sich an wie ein Comeback in ein Leben, das ich teilweise schon kenne, und gleichzeitig wie ein neues Kapitel. Ich weiß, dass ich viel lernen werde, nicht nur musikalisch, sondern über Menschen, Orte und über mich selbst.

Ich nehme euch wieder mit. Ich zeige euch, wie es ist, wieder in ein Leben einzutauchen, das man liebt. Ohne Filter, ohne Kitsch – nur echt, aus der Perspektive einer, die mittendrin lebt und gespannt ist, was kommt.

Schlangen, Drachen und jede Menge Musik

Lange habe ich nichts mehr geschrieben. Fast vier Monate sind nun vergangen, dass ich Senegal verlassen habe und ich muss noch weitere zwei oder sogar zweieinhalb Monate warten, bis ich wieder dort bin.
Ich war erst in Bottrop in Deutschland aber nicht sehr lange. Seit Ende Mai bin ich in Tschechien, wo ich seit 22 Jahren ein Haus auf dem Land habe. Hier verbringe ich seit 13 oder 14 Jahren den gesamten Sommer, meist bis Ende Oktober. Und so ist es auch dieses Jahr wieder und doch ist vieles anders.
Die letzten Jahre habe ich viel genäht, viel Schmuck gefertigt, ich habe Dutzende Gläser Marmelade gekocht, Gurken eingelegt, ich bin viel Fahrrad gefahren… all das habe ich dieses Jahr nicht oder so gut wie nicht gemacht.
Zum Einen habe ich noch viel Marmelade aus den Vorjahren und muss die Regale und auch die Gläser leeren, bevor ich neue befülle. Das Gleiche gilt für die eingelegten Gurken.
Fahrrad fahren kann ich leider gerade nicht. Ich habe seit einigen Wochen eine fiese Baker-Zyste in der Kniekehle, etwa so groß wie ein Hühnerei. Das ist nicht gefährlich aber sehr unangenehm. Laufen, insbesondere bergauf und bergab oder Treppen steigen fällt mir sehr schwer und ist mitunter sehr schmerzhaft. Noch habe ich nicht herausgefunden, was denn die Ursache für diese Baker-Zyste ist.

Aber es gibt noch einen anderen Grund, einen sehr schönen Grund, warum ich vieles von dem, was ich in den letzten Jahren gemacht habe, diesen Sommer nicht mache. Ich mache viel Musik!
In Senegal habe ich viele westafrikanische Mandinka-Lieder gelernt und ich hatte mir vorgenommen, mit diesen Liedern aufzutreten.

Meinen ersten Auftritt hatte ich am 30. Mai auf einem Kinder- und Familienfest.
Und dann waren vier Wochen Pause. In der Zeit habe ich geübt, geübt und noch mehr geübt.
Denn die nächsten Termine standen ja bereits fest.

Miniyamba, ein altes traditionelles Mandinka-Lied aus Westafrika. Miniyamba ist eine Anakonda, eine große Schlange. Das Lied handelt von Vertrauen und Versprechen und den Folgen, wenn beides gebrochen wird.



Ende Juni hatte ich gleich zwei Auftritte an zwei Tagen und es hat großen Spaß gemacht!
Und dann wurde es irgendwie ein Selbstläufer, ich habe einige Anfragen und Einladungen bekommen, auf Festivals zu spielen, die ich supergerne und dankbar angenommen habe.
Überall war es toll, die Menschen mögen meine afrikanischen Lieder. Sehr oft schreiben mir irgendwelche Leute, die mich irgendwo gehört haben und fragen, wo ich als nächstes auftrete.
Ich habe nicht gedacht, dass es so gut laufen und so gut ankommen wird!
Das macht mir gerade richtig glücklich.

Ninki Nanka ist ebenfalls ein traditioneller Song aus Westafrika. Er handelt von einem riesigen, fauchenden Drachen mit einem großen Horn. Aber, so die Legende, solange wir singen und tanzen, kann uns der Drache nichts anhaben.


Ein ganz besonderer Auftritt war der am 6.9. auf dem Worldfest. Es bezeichnet sich auch als das kleinste World-Festival der Welt und ich bin jedes Jahr als Gast dabei. Und diesmal war ich als Musikerin dort.
Ich bin gemeinsam mit einem Bekannten aufgetreten, er hat auf indischen Tabla getrommelt und ich habe auf der Kora gespielt.

Maki handelt von einem König, der sich um Waisenkinder kümmert. Die Kinder lieben ihn und rufen ihm zu: „Wayo, wayo, maki na nande – komm her, komm her, Maki komm zu uns“


Zwei Auftritte liegen noch vor mir, vielleicht ergibt sich auch noch irgendwas zwischendurch.
Ich liebe diesen neuen Abschnitt in meinem Leben, mir selbst gibt die Musik unendlich viel.